Dämmerung

Lange Zeit dachte ich ‘Heilung’ sei ein Ziel, wie ein Endpunkt. Das war zu Zeiten als ich noch im Dunkeln tappte was meinen Zustand betraf – und mich.

Inzwischen weiss ich, Heilung ist ein fortwährender Balanceakt, der Weg selbst ist hier das Ziel, und ein Ende ist vermutlich erst mit Austritt aus dem Spiel der Dualität in Sicht.

Aber es wird heller und leichter, mit jedem Schritt, die Dämmerung bricht irgendwann das Dunkel auf. Fast unbemerkt ist es dann plötzlich da und mensch fragt sich, wann genau es heller wurde. Und dann kommt der Tag, die Sonne, der Sommer, die Flut bevor sich das Wasser zurückzieht und es wieder in eine neue Nacht geht. Ein ewiges Spiel der Gezeiten.

Meine Gedicht begleiteten mich durch diese Nacht, wie ein stummer Portokollist des Gwschens. Erst ein verbiegen der Worte machte es mir möglich, emotionale Zustände und Eindrücke zu vermitteln, die in kein sinnvolles Satzkonstrukt gepasst haben  Dokumentarische Tagebucheinträge halfen anders, doch Gedichte flossen intuitive und damit näher an der Seele als  Kopf.

Aber nun, in welcher Zustand denn – welche Geschichte dokumentiert der vorliegende Band?

Mir ging es doch gut, dachte ich – und ich fand keine Erklärung für die Phasen und Zustände von Depression, Trauer, Niedergeschlagenheit… geringe Lebensfreude und Libido, soziale Kontaktschwierigkeiten, selbstsabotierendem Verhalten, chronische Verdaungsprobleme, Hochsensibilität und dieses Gefühl einfach nicht ganz da zu sein, irgendwie daneben. Ich meine, abgesehen davon ging es mir doch gut! Und keiner hat was gemerkt  im Gegenteil ich schien manchen selbstbewusst und sogar hochnäsig, manche fanden mich unzugänglich und verschlossen, jedenfalls introvertiert aber auch charmant. Und immer wieder NETT.

Das Gemeine an diesen Unpässlichkeiten ist ihr subtiler Charakter.

Ich konnte keine Erklärung finden was mit mir los war, denn alles schien doch relativ gut für mich gelaufen zu sein. Ein mittelständisches gutes Elternhaus ohne Gewalt oder sonstige Unannehmlichkeiten die das normale Mass übersteigen. Gute Ausbildungen, gesund, …

Und doch fand ich irgendwann Namen und Selbstdiagnosen für meine Symptome:

Ein Übel der Wurzel ist ‘Dissoziation’

Nun kannte ich diesen Zustand nur im Zusammenhang mit Trauma, und Trauma nur in der Definiotn von Schocktrauma: also einem oder mehreren Erlebnissen wie Krieg, Unfall, Missbrauch, etc.

Daher habe ich dieses Selbstdiagnose lange in Zweifel gezogen –  auch wenn die Symptome genau passten. Es hat nochmal lange gedauert bis ich etwas von Entwicklungstrauma lernte.

Ein Entwicklungstrauma oder Komplexes Trauma kann vergleichbare Symptome aufwiesen wie wir es von PTSD kennen, ohne das einzelne Schickerlebnis. Vielmehr höhlt hier steter Tropfen den Stein: Sich wiederholende oder über längeren Zeitraum bestehende ungünstige Kindheitserlebnisse (engl. ACE – adverse childhood experiences) können die Verarbeitung besagter Ereignisse verhindern – Trauma entsteht. Ein Trauma ist nie das Erlebnis selbst, sondern die Unfähigkeit des Systems diesen Schock abzuschütteln. Das Gehirn und das Nervensystem hängen in ständigen Überlebensmodus fest, entweder im Kampf und Fluchtmodus oder, weit häufiger und wesentlich subtiler, im Erstarrungsmodus.

Fight, flight oder freeze.

Bevor ich das lernte war ich verwirrt: Die Symptome deuteten auf Trauma hin, aber die Ursachen dafür machten keine Sinn für mich. Was zur Folge hatte dass ich mich auch noch schlecht fühlte so eine Mimose zu sein. So schwach. Oft fühlte ich mich von der Welt und mir selbst einfach überfordert. Ich war im Widerstand zu mir und meinen Zuständen.

Ich dachte ich habe nen Schaden, defekt. Heute weiss ich – niemand ist defekt. Wir alle biegen uns passend zu unserem Gepäck. Insofern ist unser Körpersystem brilliant, da es alles daran setzt uns am Leben zu erhalten.

In meinem Falle befinde ich mich mit Entwicklungstrauma in guter Gesellschaft : die Wissenschaft erfors ht das zunehmend und entdeckt ebenso zunehmend dass so gut wie jeder Mensch traumatisiert ist.

So gut wie jeder Mensch hat ein epigenetisches, energetische, Generationen überspannendes Gepäck an Traumas und Programmen zu den in diesem Leben erfahrenen Kränkungen und Verletzungen.

Ganz häufig führt das ganze zu einem Schutzkokon aus Verspannung, der uns gleichzeitig von der direkten Erfahrbarkeit der Welt entrückt.

Meine Gedichte waren all die Jahre Ausdruck einer Dunkelheit und Schwermut die auf mir lag, und die einzige Möglichkeit die mir intuitiv Erleichterung brachte  Ein Ventil sozusagen für emotionale Energie die sich eine Weg nach außen suchte. Diese chronologische Gedichtesammlung ist somit zeitzeugend als ich durch das Dunkel tappte und mit diesem Zustand der Dissoziation lebte, hilflos und oft verloren. Doch Stück für Stück wurde mir alles klarer, konnte ich Mithilfe von Psychotherapie bis Energiearbeit und viel Selbstrecherche und Selbstverantwortung Licht in meine Sache bringen. Ich habe nicht geblutet, hatte nie etwas gebrochen, hatte keinen schweren Krankheiten, erlebte weder Hunger noch Krieg, hatte gute Freunde und Familie – und dennoch. Niemand ist vor Entwicklungstrauma  gefeit, und es iwt wie ein Phantomschmerz – real, aber schwer beweisbar. Diese deutschsprachigen Gedichte zusammenzusmmeln war in sich selbst sehr befriedigend. Ich bekam damit einen überraschenden Einblick in die Realität einer jungen Frau des 21. Jahrhunderts.

Das bin ich – Nicht mehr.

Vergangenheit. Zu sehen meinen Weg und mich zu erinnern, anhand der Gedichte wie es mir damals ging, ganz bewusst zu sehen dass ich mich konstant aus meinem Kokon schäle.